25.06.2024

Wer sitzt (nicht) im österreichischen Parlament?

Ungleiche Demokratien Länderbericht • Michael Jennewein

Der österreichische Nationalrat ist in geringerem Maße ein »Akademikerparlament« als in vergleichbaren Ländern. Arbeiter und Arbeiterinnen sind unter den Abgeordneten der auslaufenden Legislaturperiode dennoch unterrepräsentiert, Selbstständige und Unternehmertum gut repräsentiert und Bauern überrepräsentiert, wie eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt.

Über 40% der Abgeordneten von FPÖ und ÖVP sind Selbstständige und Unternehmer:innen, die vor dem Eintritt ins Parlament ihre eigenen Arbeitgebenden waren und oftmals weiterhin sind, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur sozialen Repräsentation des aktuellen Nationalrats zeigt. Viele von diesen selbstständigen Abgeordneten sind als Landwirte und Landwirtinnen tätig. Deren Repräsentation im gesamten Parlament ist mit 8% im internationalen Vergleich sehr hoch, besonders angesichts des Umstands, dass nur 3,5% der Erwerbstätigen in Österreich in der Landwirtschaft tätig sind. Auf der Ebene der Abgeordneten ist die SPÖ eine Partei der Angestellten, ebenso sind die Grünen in dieser Hinsicht keine Partei der Selbstständigen.

Nationalrat kein reines Akademikerparlament

Mit seinem hohen Anteil an Berufsschulabschlüssen und dem damit einhergehend vergleichsweise niedrigeren Akademikeranteil ist der Nationalrat international ein Ausreißer. Reine Universitätsabschlüsse haben mit 58% nur knapp über die Hälfte der Abgeordneten. Damit ist der Nationalrat kein reines »Akademikerparlament«, anders als Frankreich, Deutschland, und Großbritannien, wo fast 90% der Abgeordneten zumindest einen Bachelor-Abschluss haben. Aus demokratiepolitischer Sicht ist dieser Befund begrüßenswert, da Forschungserkenntnisse nahelegen, dass die Wahrnehmung politischer Probleme durchaus entscheidend von der eigenen Alltagsrealität geprägt ist.

Arbeiter und »neue Arbeiter:innenklasse« nicht ausreichend vertreten

SPÖ und FPÖ haben mit 10% den höchsten Anteil an Abgeordneten aus Arbeiterberufen. Mit 8% im gesamten Parlament ist diese Gruppe dennoch unterrepräsentiert, denn sie macht einen deutlich größeren Teil der Erwerbstätigen im Land aus. In Verbindung mit der stetig sinkenden Wahlbeteiligung von sozial und ökonomisch weniger privilegierten Gruppen sowie der großen Anzahl an Personen ohne Wahlrecht in Arbeiterberufen ist die soziale Repräsentation des Nationalrats zuungunsten von Arbeitern und Arbeiterinnen gelagert. In Wien kann die Hälfte von ihnen weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene mitbestimmen. Insbesondere die »neue Arbeiter:innenklasse«, die zunehmend weiblich und migrantisch ist, ist noch nicht adäquat im Parlament vertreten. Immerhin 4% der österreichischen Abgeordneten wurden im Ausland geboren – vor Jahrzehnten war das noch die absolute Ausnahme. Der Anteil der im Ausland geboren österreichischen Staatsbürger lag im Jahr 2022 bei 16,7%.

Parteien heute diverser, außer die FPÖ

Der Frauenanteil ist auch im internationalen Vergleich gegenwärtig hoch: In Österreich saßen noch nie so viele Frauen im Parlament. Vor allem Parteien links der Mitte drücken den Frauenanteil nach oben. Auch junge Menschen sind im österreichischen Parlament vergleichsweise gut vertreten: 11 und damit 6% der Abgeordneten waren bei der Wahl 2019 unter 30 Jahre alt. Noch vor 20 Jahren waren nur 3 Abgeordnete jünger als 30. Abgeordnete kleiner Parteien sind im Schnitt jünger. Fast alle Parlamentsparteien sind heute bei den Parametern Alter, Geburtsort, und Geschlecht repräsentativer als noch vor einigen Jahren. Nur die FPÖ hat weder eine/n Abgeordnete/n unter 30 Jahren, noch eine Person, die im Ausland geboren wurde, sowie mit 13% den deutlich geringsten Frauenanteil.

Methodik:
Die Studienreihe Ungleiche Demokratien vergleicht in den Formaten „Wer sitzt (nicht) im Parlament?“ und „Wer geht (nicht) wählen?“ die soziale Repräsentation und die Wahlbeteiligung von 30 Demokratien Europas und Nordamerikas. Die Formate folgen dabei einem von den deutschen Politikwissenschaftlern Armin Schäfer & Lea Elsässer entwickelten einheitlichen Studiendesign.

Downloads:

Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen. Grafiken können unter Angabe des Copyrights hier bezogen werden.